2016/07/14 - "Ich kann Menschen helfen."

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"Ich kann Menschen helfen."

Ein Psychologe spricht über seine tägliche Arbeit mit Skepsis, Leidensdruck und Trauma


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Betrachtet seinen Beruf als Berufung: Dmitri Sorokin
Quelle: https://www.austin-keep-it-weird.de/dow ... 519614.jpg

 Wir berichteten bereits am 11. Juni 2016 über die Eröffnung der neuen Praxis für psychologische Psychotherapie von Dmitri Sorokin. Wie angekündigt, konnte der Therapeut ein wenig Zeit für uns erübrigen und gewährte uns einen groben Einblick in seine spannende Arbeit, in der der Mensch mit seinen vielschichtigen Problemen und psychischen Belastungssituationen im Mittelpunkt steht.

Mr. Sorokin, viele Menschen begegnen der Psychotherapie mit sehr viel Skepsis. Wie begegnen Sie dieser Haltung?

Mr. Sorokin: (lacht leise) Mit freundlichem Respekt. Ich suche das Gespräch mit Skeptikern, aber ich versuche nicht, ihnen meine Auffassung aufzuzwingen. Psychotherapie ist eine wirksame Therapieform in vielen Situationen, doch ich kann und will niemanden davon überzeugen, der sich innerlich dagegen sperrt.

Würden Sie sagen, dass mehr Leute eine solche Therapie in Anspruch nehmen sollten? Oder anders ausgedrückt: Wie viel Therapie braucht der Mensch Ihrer Ansicht nach?

Mr. Sorokin: Es geht nicht darum, ob ich eine Therapie für notwendig halte - das ist nicht die Grundlage, auf der eine Therapie erfolgen soll und kann. Es geht um den Leidensdruck des Patienten. Wenn er an den Punkt 'Ich brauche professionelle Hilfe' kommt, ist die Therapie gerechtfertigt, unabhängig davon, ob irgendjemand anderes das nachvollziehen kann. Psychischer Leidensdruck ist nicht vergleichbar und nur weil Person A an einem Punkt nur mit den Schultern zuckt, an dem Person B nach einer Therapie sucht, invalidiert das nicht Person Bs Leidensdruck. Ich habe Patienten, die monate-, manchmal jahrelang in Therapie sind, weil ihr Haustier gestorben ist und ich habe Patienten mit komplexen psychischen Erkrankungsbildern, die seit Jahren nicht in der Lage sind, eigenständig zu leben. Jeder von ihnen hat das gleiche Recht, sich Hilfe zu suchen, denn ab wann ein Mensch Therapie braucht kann niemand anderes bestimmen außer dieser Mensch selbst. Ich kann Ihnen diese Frage also nicht beantworten, da es nicht in meiner Verantwortung liegt, das zu entscheiden.

Wo sehen Sie persönlich die Chancen und Grenzen der Therapie?

Mr. Sorokin: Es ist möglich, den Leidensdruck der Patienten in vielen Fällen gänzlich zu beseitigen oder ihnen zumindest ein 'normales' Leben zu ermöglichen, ohne sie dabei durch unnötige Medikamentierung nachhaltig zu beeinflussen. Ein guter Therapeut ist in der Lage, dem Patienten dabei zu helfen, sein Leben massiv zu verbessern. Die Grenzen sind einfach: Im Gegensatz zu vielen anderen Therapieformen, die in eingeschränktem Maß auch funktionieren, wenn der Patient nicht kooperationsbereit ist, ist die Psychotherapie vollständig auf die Mitarbeit des Patienten angewiesen. Man gibt ihm Werkzeuge an die Hand, mit denen er sein Leben wieder aufbauen kann, aber man kann ihn nicht dazu zwingen, sie auch zu benutzen.

Gab es Situationen, die Sie trotz jahrelanger Erfahrung als Herausforderung empfunden haben?

Mr. Sorokin: Jeder Patient ist eine neue Herausforderung. Kein Patient gleicht dem anderen - es gibt oft vielfältige Möglichkeiten der Behandlung und ich muss bei jedem meiner Patienten aufs Neue abwägen, welche dieser Möglichkeiten für ihn die passendste ist.

Worauf legen Sie in Ihrer Praxis einen gesteigerten Wert? Gibt es Therapieprinzipien die sich bewährt haben?

Mr. Sorokin: Ich halte nichts davon, mich selbst als unnahbaren Akademiker darzustellen. Dafür ernte ich viel Kritik von meinen Kollegen, aber ich bin der festen Überzeugung, dass es absolut förderlich für meine Patienten ist, wenn ich sie im Gegenzug dazu, dass sie mir sehr viel, sehr Privates über ihr Leben erzählen, auch an meinem Leben teilhaben lasse - natürlich alles im professionellen Rahmen, aber grundsätzlich hat es sich bewährt, keine künstliche Barriere und keine Hierarchie zwischen Patient und mir zu erschaffen.

Mr. Sorokin, Sie sind außerdem Traumapsychologe. Wie kommt es, dass Sie sich ausgerechnet für diesen doch sehr sensiblen Schwerpunkt entschieden haben?

Mr. Sorokin: Ich habe während des Studiums eng mit einem Nachfahren von Iwan Michailowitsch Setschenow zusammengearbeitet und unter seiner Aufsicht promoviert. Er publiziert nicht, sondern arbeitet als Mann im Hintergrund und möchte aufgrund dessen auch nicht namentlich genannt werden, aber er stellt eine der treibenden Kräfte in der Traumaforschung im osteuropäischen Raum dar und hat mich von Beginn an mit seinem brennenden Enthusiasmus gefesselt. Nachdem ich die Doktorwürde erlangt hatte und somit seinen Fängen wieder entkommen war (erneutes Lachen), war es schon zu spät: Ich habe mich in die Vielschichtigkeit und die Komplexität der Traumapsychologie verliebt. Die endgültige Entscheidung, dass ich auch den Rest meines Lebens dieser Disziplin widmen möchte, ist gefallen, als der erste Patient nach beendeter Therapie meine Praxis mit einem Lächeln und gerüstet für sein weiteres Leben verlassen hat - ich kann Menschen helfen und jeden Tag dafür sorgen, dass ihr Leben ein Stückchen besser wird.

Vielen Dank für diesen aufschlussreichen Einblick in Ihr Fachgebiet!


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Dimitrij Sorokin
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